Drei Fragen an …
… Frau Prof. Dr. Friedland zum Thema „Treten psychische Erkrankungen bei Frauen häufiger auf als bei Männern?“
Ein Großteil der medizinischen und pharmakologischen Datenlage beruht auf Studien mit einem hohen Anteil männlicher Probanden - dadurch kommt es bei Frauen in der Praxis häufig zu Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern.
An unterschiedlichen Stellen versucht man, das Thema „Frauengesundheit“ mehr in den Fokus zu rücken. So nimmt sich u. a. das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention der Thematik in seiner diesjährigen Jahresschwerpunktkampagne an, Einblicke erhalten Sie unter: https://www.stmgp.bayern.de/meine-themen/fuer-frauen/
Zum heutigen Interview begrüßen wir Frau Prof. Dr. Kristina Friedland. Sie ist Professorin für Pharmakologie und Toxikologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, war maßgeblich an der Entwicklung der Präventionsstudien GLICEMIA und GLICEMIA 2.0 beteiligt und ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des WIPIG. Wir haben uns zum Thema „Psychische Erkrankungen, die bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern“ unterhalten.
Liebe Frau Prof. Dr. Friedland, nicht nur die körperliche, auch die psychische Gesundheit des Menschen schwankt von Zeit zu Zeit. Müssen wir in der Therapie psychischer Erkrankungen nicht einen viel größeren Fokus auf die geschlechterspezifischen Unterschiede legen?
> Bei vielen psychiatrischen Erkrankungen sehen wir einen geschlechterspezifischen Unterschied, denken Sie z. B. an unipolare Depressionen oder Angststörungen - hiervon sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer. Das gilt auch für die Alzheimer Demenz. Es gibt aber auch andere psychische Erkrankungen, z. B. Zwangsstörungen oder Schizophrenie, denen keine geschlechterspezifischen Ursachen zugrunde liegen oder ADH/ADHS oder Suchterkrankungen, von denen Jungen bzw. Männer häufiger betroffen sind. Grundsätzlich müssen wir in diesem Bereich krankheitsspezifisch vorgehen und je nach Erkrankung geschlechtsspezifische Unterschiede beachten. Bei Frauen sollten wir hier vor allem auf Angsterkrankungen, unipolare Depression oder auch die Alzheimer Demenz achten.
Welche geschlechterspezifischen Faktoren spielen eine wichtige Rolle?
> Unter anderem weiß man heute um die neuroprotektive Wirkung von Östrogen - kommt es also in der Menopause zu einem deutlichen Absinken der Östrogenspiegel oder postpartal zu einer massiven Hormonumstellung, dann können diese Störungen begünstigt werden. Ursächlich ist, dass Östrogen zu einer besseren Vernetzung der Neurone im ZNS führt und dadurch auch einen direkten Einfluss auf die Steuerung der synaptischen Plastizität hat. Wir wissen heute, dass die synaptische Plastizität ein sehr wichtiger Faktor ist, der bei vielen psychiatrischen Störungen eine massive Veränderung aufweist. Das betrifft zum einen die Synapsenzahl, das betrifft aber auch die Vernetzung der Neurone bis hin zur Neurogenese und wenn Östrogen fehlt oder es zu einer massiven hormonellen Umstellung kommt, dann steigt das Erkrankungsrisiko für die genannten Krankheitsbilder.
Zudem spielen bei psychischen Erkrankungen auch Umweltfaktoren und genetische Aspekte eine wichtige Rolle. Hier liegen geschlechtsspezifisch unterschiedliche Belastungsmuster vor. Frauen sehen sich durch Care-Arbeit und Beruf oftmals einer Doppelbelastung gegenüber, die auch ursächlich dafür sein kann, warum Frauen häufiger betroffen sind.
Vergessen darf man andererseits nicht, dass Männer ihre Probleme und Symptome häufig gar nicht äußern. Sie entwickeln eher „im Stillen“ eine Alkoholabhängigkeit, als sich Hilfe zu suchen bzw. in Anspruch zu nehmen. Das betrifft insbesondere Angsterkrankungen. Man muss also wirklich bei beiden Geschlechtern genau darauf achten, welche Belastungslage vorliegt, welche Kommunikationsmethoden zielführend sind und welche Hilfestellungen akzeptiert werden. Hier muss man beide Geschlechter im Auge behalten, um schlussendlich die richtigen Hilfsstrategien zu entwickeln.
Werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der aktuellen Forschung so berücksichtigt wie notwendig oder ist hier noch „ein dickes Brett zu bohren“? Wie sieht es speziell in Deutschland aus?
> Also ich würde da Deutschland jetzt nicht besonders herausgreifen. Die Rolle der geschlechterspezifischen Unterschiede wird eigentlich erst seit 10 bis 15 Jahren weltweit thematisiert, so dass hier überall noch Nachholbedarf besteht. Inzwischen beginnt man in der präklinischen Forschung mit der Untersuchung männlicher und weiblicher Versuchstiere, was früher nicht der Fall war, und dieses Vorgehen zieht sich dann auch weiter bis zur Klinik. Das Bewusstsein ist mittlerweile vorhanden, aber die Datenlage ist immer noch in vielen Bereichen nicht ausreichend, um final Aussagen treffen können. Es besteht weiterhin noch großer Forschungsbedarf weltweit.
Herzlichen Dank für das Interview Frau Prof. Dr. Friedland!
Das Interview führte Xenia Steinbach.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
fühlen Sie sich an dieser Stelle auch herzlich eingeladen zum WIPIG-Web-Seminar „Burnout/Depressionen, Prävention und Therapie“ mit Frau Prof. Dr. Friedland am Montag, den 06.05.2024, von 20:00-22:00 Uhr. Sie können sich hierzu bis zum 05.05.2024 über Ihr persönliches BLAK-Fortbildungskonto mit der Kursnummer BYA248108W anmelden.