Das WIPIG-Interview mit Dr. Ulrike Mühlhans zum Thema "Demenzfreundliche Apotheken"

Die Apothekerin Frau Dr. Ulrike Mühlhans ist seit vielen Jahren Moderatorin des Qualitätszirkels Pharmazeutische Betreuung Weilheim und war maßgeblich an der Etablierung des Projekts „Demenzfreundliche Apotheke“ in den Landkreisen Landsberg am Lech sowie Weilheim-Schongau beteiligt.

1. „Demenzfreundliche Apotheken“ erfüllen bestimmte Voraussetzungen: Die teilnehmenden Apotheken werden im Vorfeld gezielt geschult, vernetzen sich aktiv mit lokalen Hilfseinrichtungen und nehmen auch in Folge verpflichtend an regelmäßigen Schulungen und Updates rund um das Thema Demenz teil. Frau Dr. Mühlhans, was können Sie uns über Ihre ersten Erfahrungen berichten?

Leider startete das Projekt „Demenzfreundliche Apotheke“ in den beiden Landkreisen kurz vor Beginn der Corona-Pandemie. Dadurch schränkten sich kurzerhand die zeitlichen und personellen Kapazitäten derart ein, dass eine zusätzliche Aktion zum Thema Demenz neben den Alltagsaufgaben in der Apotheke nicht mehr möglich war. Wir konnten das Projekt leider nicht so bewerben, wie wir es uns gewünscht hätten. U. a. war in Zusammenarbeit mit Herrn Rais-Parsi vom Landratsamt Landsberg ein Informationsstand mit einem Angestellten der hiesigen Seniorenfachstelle in der Apotheke geplant. Kunden hätten sich so „nebenbei“ unverbindlich informieren und bei Bedarf entsprechende Infomaterialien mitnehmen können. Der erste Schritt bei Betroffenen und Angehörigen ist immer der Schwierigste.

2. Warum sind spezielle Schulungen wichtig?

Spezielle Schulungen erhöhen schlichtweg die eigene Sensibilität und Handlungsfähigkeit in Bezug auf das entsprechende Krankheitsbild - je umfangreicher die Kenntnisse, desto leichter fällt das Beratungsgespräch. Und in diesem Fall handelt es sich um ein sehr sensibles Thema sowohl für die Betroffenen als auch deren Angehörige. Ein Schulungsschwerpunkt liegt z. B. auf einer rechtzeitigen und frühen Diagnosestellung. Ist dies der Fall, so können auch andere (Begleit-)Erkrankungen erkannt und behandelt werden. Die Diagnose stellt natürlich i. d. R. der Hausarzt, wenn wir allerdings Auffälligkeiten feststellen und oftmals verbindet uns mit den Kunden ein jahrelanges Vertrauensverhältnis, so dass wir Auffälligkeiten bei Verhalten und Ausdrucksweise oftmals sehr frühzeitig bemerken, können wir an den Arzt verweisen. Eine frühzeitige Diagnosestellung erlaubt den Betroffenen auch eine selbstbestimmte Zukunftsplanung, denken Sie z. B. an Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen. Zudem ist man dann auch oftmals noch in der Lage, die vorhandenen individuellen Fähigkeiten gezielt zu fördern und zu stärken.

Auch das Thema Prävention wird im Rahmen der Schulungen besprochen, hier liegt der Fokus insbesondere auf den Angehörigen, die sich verständlicherweise häufig sorgen, später das Schicksal der Betroffenen teilen zu müssen. Es ist unglaublich wichtig, dass das Apothekenpersonal den Betroffenen hier professionell die richtigen Ratschläge vermitteln kann. Diese Tipps sind genau die, die die Apotheke vor Ort bei den Kunden unersetzbar machen.

3. „Demenzfreundliche Apotheken“ zeichnen sich u. a. durch die Vernetzung mit lokalen Hilfsorganisationen aus - welchen Eindruck haben Sie hinsichtlich der Zusammenarbeit?

Im Landkreis Landsberg am Lech besteht eine enge Zusammenarbeit mit Herrn Rais-Parsi vom Landratsamt Landsberg, für das Gebiet Weilheim-Schongau stehen wir in Kontakt mit den regionalen Zweigstellen der Alzheimergesellschaften Weilheim und Hohenpeißenberg. Von Herrn Rais-Parsi stammen die folgenden äußerst treffenden Worte, die er bei einer der Schulungen äußerte: „Je mehr Akteure geschult und sensibilisiert sind, desto besser kann es uns gelingen, ein demenzfreundliches Umfeld zu gestalten“ - und hier wird auch ein Schwerpunkt für die Zukunft liegen. Durch die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure, die sich auf verschiedene Schwerpunkte spezialisiert haben, können wir Ratsuchende in der Apotheke jetzt zielgerichtet für weitere Informationen an die Beratungsstellen verweisen. Es kommen immer wieder Kunden, die sich gerade für diese Tipps bedanken.

4. Die aktive Ansprache von Kunden bzw. Bezugspersonen und Angehörigen hinsichtlich des Themas Demenz ist sehr schwierig. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Häufig kommt man im Verlauf eines Beratungsgesprächs näher auf das Thema zu sprechen und gibt unverbindliche Hinweise und Ratschläge auch hinsichtlich der Beratungsstellen. Der Einstieg erfolgt oftmals nicht direkt, sondern z. B. über Anfragen zu Hilfsmitteln, u. a.: „Mein Partner findet in der Nacht die Toilette nicht, kann ich bei Ihnen in der Apotheke auch Urinflaschen mit Gestell kaufen?“ Geschultes Personal hört hier genauer hin und stellt weitere, erst mal ganz unverfängliche, Nachfragen. I. d. R. sind die Kunden froh, über die belastende Situation berichten zu können und erzählen von sich aus. Für viele ist es eine große Erleichterung, den Kummer und die Sorgen endlich mitteilen zu können. Sobald eine „kleine Brücke gebaut ist“, wird diese auch genutzt.

5. Welchen Gewinn hat das Projekt für das Personal in der Apotheke?

Werden auffällige Verhaltensweisen in der Apotheke festgestellt, ist es oftmals sehr schwierig, das Thema offen zur Sprache zu bringen - ob es sich um Betroffene oder deren Angehörige handelt. Durch die speziellen Schulungen im Rahmen des Projekts konnten diese Hürden reduziert und abgebaut werden. Zudem können wir Ratsuchende nun ganz zielgerichtet an die richtigen Ansprechpartner der regionalen Hilfseinrichtungen vermitteln, das erspart den Betroffenen oftmals eine regelrechte Odyssee - ob Zeit oder Nerven betreffend. Bei Bedarf haben wir nun auch das passende Infomaterial griffbereit, das wir dem Kunden unverbindlich an die Hand geben können. Hier kann er dann in Ruhe zu Hause u. a. die Kontaktdaten der einzelnen Netzwerkpartner einsehen und fühlt sich nicht überfordert. Diese schnelle und unkomplizierte „Erstversorgung“ schafft eine gute Basis. Der Kunde fühlt sich einfühlsam und kompetent beraten.

6. Ein Wort zum Schluss Ihrerseits …?

Wenn das Projekt „Demenzfreundliche Apotheke“ durch weitere Aktionen an Bekanntheitsgrad gewinnt, bin ich überzeugt, dass es für Betroffene leichter wird, offen über die Thematik zu sprechen und ganz selbstverständlich damit umzugehen. Wir in der Apotheke vor Ort können einen wichtigen Baustein im Umgang mit dem Thema Demenz bilden. Die teilnehmenden Apotheken können zu einer wichtigen niedrigschwelligen Anlaufstelle werden und neben der Beratung zu Arzneimitteln, auch auf Präventions- und Entlastungsangebote hinweisen oder den Kontakt zu einer Beratungsstelle herstellen. Ich finde, das ist ein großartiger Gewinn für unsere ganze Gesellschaft!

Herzlichen Dank Frau Dr. Mühlhans für das Gespräch!

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