Das WIPIG-Interview mit Prof. Schaeffer zum Thema „Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland“

Interview mit Prof. Dr. Doris Schaeffer, Professorin an der Universität Bielefeld, zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland

Frau Prof. Schaeffer, die Erhebungen der Jahre 2014 und 2020 zeigen, dass 49,9 % der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sehr große Schwierigkeiten hatten, die Packungsbeilagen von Arzneimitteln zu verstehen. Überrascht sie das?
Nein, das überrascht mich nicht, da die Verständnisprobleme beim Thema Packungsbeilage bekannt sind. Dies zeigte sich bereits in der ersten Erhebung und hat sich zudem auch noch verschlechtert. Packungsbeilagen haben nicht das oberste Ziel aufzuklären, sondern sind stark durch rechtliche Gesichtspunkte determiniert. Das ist eine schwerwiegende Problematik, die evtl. durch zwei Versionen gelöst werden könnte. Eine, die die rechtlichen Aspekte aufgreift, und eine andere, die so nutzerfreundlich gestaltet ist, dass die Menschen sie verstehen und anwenden können, um Adhärenz zu ermöglichen.

Arzneimittelinformationen sind sehr komplex. Wie kann man sie verbessern?
Das Problem der Komplexität betrifft fast alle Gesundheitsinformationen. Die eigentliche Herausforderung besteht hier in einer laienverständlichen Aufbereitung und Übermittlung von Fachinformationen. Das ist schwierig. Wenn wir den Bürgern mehr Selbstverantwortung hinsichtlich ihrer Gesundheit übertragen wollen, müssen wir sie auch tendenziell mehr mit Fachinformationen konfrontieren. Aus Fokusgruppenanalysen wissen wir, dass sich speziell Menschen mit chronischer Erkrankung vielfach auch heute schon mit Studieninformationen beschäftigen und sich als Laien an diese komplexen Themenbereiche heranwagen. Besser wäre allerdings eine laienverständliche Aufbereitung von Fachwissen. Ggf. braucht es dafür auch Vermittler, die in beiden Welten zu Hause sind.

Welchen Beitrag können die Apotheken zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz leisten?
Der Schwerpunkt sollte im Bereich Kommunikation und Information liegen. Die Apotheken werden als niederschwellige Ansprechpartner von Menschen mit gesundheitlichen Problemen und Fragestellungen aufgesucht. In Untersuchungen stellt man immer wieder fest, dass viele Beratungsgespräche noch nicht hinreichend nutzerfreundlich sind. Sie verlaufen entweder auf zu hohem fachlichen Niveau oder die Verkaufsperspektive spielt eine starke Rolle. Wenn es den Apotheken gelingt, die Beratungsgespräche besser an die Patienten anzupassen und die Beratung stärker in den Mittelpunkt zu rücken, können die Apotheken mehr zur Förderung der Gesundheitskompetenz und auch zu ihrem eigenen Überleben beitragen. Ich spiele damit auf das E-Rezept und die Digitalisierung im Versandhandel an.

Wäre es sinnvoll, die unterschiedlichen Gesundheitsprofessionen bereits in Studium und Lehre hinsichtlich Gesprächsführung und Kommunikationsgestaltung auf den Berufsalltag vorzubereiten?
Das ist nicht nur sinnvoll, sondern ein absolutes Muss für die Zukunft. In früheren Zeiten, die von überwiegend paternalistischen Beziehungen zu den Patienten geprägt waren, spielte das noch keine derart entscheidende Rolle. In dem Moment, in dem die Patienten eine aktivere Rolle einnehmen sollen und wollen, wenn sie ein Gesundheitsproblem haben, müssen sie die entsprechenden Informationen und das notwendige Wissen dazu haben. Dieses Wissen möchten sie vielfach von den Gesundheitsprofessionen bekommen, die immer noch an höherer Stelle in der Rangordnung der Informationsquellen als digitale Informationen stehen. Darauf sind die Gesundheitsprofessionen nicht ausreichend vorbereitet. Dabei geht es um Kommunikation, aber auch um die richtige Informationsvermittlung. Die Frage „Wie können Experten Wissen laienverständlich so vermitteln, dass eine Anwendung im Alltag bei gesundheitlichen Problemen möglich wird?“ muss in Zukunft eine viel wichtigere Rolle spielen. Viele Bestrebungen in diese Richtung gibt es schon, diese sind aber noch ausbaufähig. Das Thema Kommunikation spielt mittlerweile im Curriculum des Medizinstudiums und bei der Ausbildung der Pflegeberufe eine größere Rolle. Aber Kommunikation reicht alleine nicht aus - die Informationsvermittlung und Förderung der Gesundheitskompetenz müssen in der Ausbildung ebenfalls eine Rolle spielen.

Herzlichen Dank Frau Prof. Schaeffer für das Interview!

Ihr Pressekontakt:
Xenia Steinbach
Tel.: 089 - 92 62 41, E-Mail: info(at)wipig.de

Marion Resch
Tel.: 089 - 92 62 87, E-Mail: presse(at)wipig.de

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