Das WIPIG-Interview mit Prof. Smollich zum Thema „NEM und Corona“

Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich leitet seit 2018 die Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Pharmakonutrition, Arzneimittel-Lebensmittel-Wechselwirkungen, Nahrungsergänzungsmittel und Functional Food. Zudem ist er Gründer und Herausgeber von Ernaehrungsmedizin.blog sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des WIPIG.

Nahrungsergänzungsmittel (NEM) werden hinsichtlich Wirkung und Wirksamkeit oftmals mit Arzneimitteln verwechselt, da sie in dosierter Form, z. B. als Tabletten oder Kapseln, erhältlich sind. Der Unterschied ist eklatant: NEM unterliegen vor Markteinführung lediglich einer Registrierungspflicht und werden im Gegensatz zu Arzneimitteln weder auf Wirksamkeit noch Sicherheit überprüft. Sie besitzen auch keine pharmakologische Wirkung, d. h. sie weisen keine Eigenschaften auf, die zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher oder tierischer Erkrankungen oder krankhafter Beschwerden führen. Gibt es dennoch Präparate, die in der aktuellen pandemischen Lage sinnvoll wären?

Herr Prof. Smollich, gibt es im Nahrungsergänzungsmittel-Sektor etwas Sinnvolles zur Prävention oder Therapie von COVID-19? Z. B. werden Vitamin D-Präparate, Vitalpilze, Spermidin oder auch Cannabidiol im Internet als schützende Präparate angeboten.
Die wissenschaftliche Antwort hierauf ist ganz klar: Es gibt keine Nahrungsergänzungsmittel, für die eine Wirksamkeit zur Prävention von COVID-19 nachgewiesen wäre. Die Datenlage ist wie sie ist – daran ändern auch die Heilsversprechen nichts, die besonders im Internet zu finden sind. Entsprechende Werbeaussagen sind im Übrigen aus gutem Grund rechtlich unzulässig. Weil es für Nahrungsergänzungsmittel keinen systematischen Wirksamkeitsnachweis gibt, ist jede Art von gesundheitsbezogener Werbung à la „Schützt vor Viren“ verboten. Dies ist nicht meine subjektive Einzelmeinung, sondern erst im März 2021 warnte die Verbraucherzentrale auf ihrem Portal „Klartext Nahrungsergänzung“ (https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/coronavirus-was-koennen-nahrungsergaenzungsmittel-45640) vor derartig irreführenden und teilweise gesundheitsgefährlichen Werbeaussagen.
Gerade Apothekerinnen und Apotheker als die Arzneimittelexperten sollten sich hier positionieren. Man darf nicht den Fehler machen zu denken, irgendein Supplement wäre in der Humananwendung wirksam, nur, weil der postulierte Wirkmechanismus theoretisch plausibel ist oder im Mausversuch funktioniert.

Kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben?
Grundsätzlich kann jede Substanz überdosiert werden – das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel. Uns Apothekerinnen und Apothekern ist das klar, aber in der Bevölkerung herrscht oft die Ansicht vor, dass man mit derartigen Supplementen zumindest nichts falsch machen kann. Das stimmt natürlich nicht. Leider gibt es in Deutschland keine gesetzlich verbindlichen Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln, sodass auch gesundheitlich bedenkliche Dosierungen in den Handel gelangen können. Wenn man im konkreten Fall überprüfen will, ob die Dosierungen eines Nahrungsergänzungsmittels noch unbedenklich sind, gibt es zwei sehr gute Quellen: Die erst im März 2021 aktualisierten Höchstmengenempfehlungen des BfR sowie die Tolerable Upper Intake Levels der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Beide Listen sind rechtlich nicht verbindlich, aber wissenschaftlich fundiert und damit für Beurteilung konkreter Dosierungen sehr gut geeignet: https://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2021/11/hoechstmengen_fuer_
vitamine_und_mineralstoffe_in_nahrungsergaenzungsmitteln_und_angereicherten_
lebensmitteln-269582.html
;
https://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/assets/UL_Summary_tables.pdf

  1. Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln
  2. Summary of Tolerable Upper Intake Levels
Gibt es Möglichkeiten, das eigene Immunsystem zu stärken und damit weniger anfällig gegen eine COVID-19-Infektion zu sein?

Wir wissen, dass es neben dem Alter vor allem ernährungsbedingte Krankheiten wie Adipositas, Hypertonie und Diabetes Typ 2 sind, die das Risiko für schwere COVID19-Verläufe drastisch erhöhen. Insofern sollte der präventivmedizinische Fokus darauf liegen, den Ernährungsstatus insgesamt zu verbessern. Diese Krankheitsbilder sind für Ernährungsprävention und -therapie sehr gut zugänglich. Auch ausreichend Schlaf und täglich körperliche Aktivität an frischer Luft sind keine Placebos, sondern ausgesprochen wirksam zur Verbesserung der Immunabwehr. Daneben sollte man darauf achten, dass bei bestimmten Mikronährstoffen kein Mangel vorliegt. Dies betrifft vor allen Dingen Zink, Vitamin C und Vitamin D.

In welchen Situationen können Nahrungsergänzungsmittel eine sinnvolle Unterstützung gegen COVID-19 sein?
Es ist eigentlich ganz einfach: Wie schon gesagt, sind Nahrungsergänzungsmittel nicht in dem Sinne wirksam, wie es Arzneimittel sind. Wenn ich einen Betablocker einnehme, sinkt mein Blutdruck unabhängig davon, ob ich eine Hypertonie habe oder nicht. Bei Mikronährstoffen handelt es sich um physiologische Substanzen, weshalb es hier anders ist: Eine unzureichende Versorgung beeinträchtigt das Immunsystem und die Infektneigung steigt – doch wenn ich optimal mit Vitamin C, Vitamin D und Zink versorgt bin, dann bringt eine Hypersupplementation keinen weiteren Benefit. Die ausreichende Zufuhr an Vitamin C und Zink ist mit normalen Lebensmitteln überhaupt kein Problem. Bei Vitamin D ist das anders – wie wir alle wissen. Das heißt: Grundsätzlich profitiert unser Immunsystem davon, wenn wir keinen Vitamin-D-Mangel haben. Optimal sind hier Serumkonzentrationen von 25(OH)D zwischen 30-50 ng/ml. Das ist internationaler Konsens der Fachgesellschaften. Wenn man diese Werte über normale Nahrung und Sonnenexposition nicht erreicht, ist die Supplementation für das Immunsystem durchaus sinnvoll.

Ob eine derartige Vitamin-D-Supplementation allerdings das Risiko einer COVID19-Erkrankung reduziert, ist bisher nicht mehr als eine Hypothese. Aussagekräftige klinischen Studien dazu fehlen bis jetzt.

Besteht bereits eine COVID19-Infektion, hat selbst die hochdosierte Gabe von Vitamin D keinen Vorteil. Auch dies ist keine „Meinung“, sondern nur das Fazit der Datenlage. Die bisher größte randomisiert-kontrollierte Studie dazu wurde im Februar 2021 publiziert und zeigte, dass selbst die Gabe von 200.000 I.E. Vitamin D3 bei COVID19-Patienten ohne irgendeinen klinischen Effekt war (https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2776738). Frühere Studien, die etwas Anderes suggerierten, wurden inzwischen wegen grober methodischer Fehler zurückgezogen (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3771318).

Das Beste, was wir aus ernährungsmedizinischer Sicht für unser Immunsystem tun können, ist eine vollwertige, abwechslungsreiche und nährstoffdichte Ernährung, die uns nicht nur mit Mikronährstoffen versorgt, sondern auch ernährungsbedingte Krankheiten verhindert. Bei bestehendem Vitamin-D-Mangel ist es außerdem sinnvoll, gezielt zu supplementieren.

Herzlichen Dank Herr Prof. Smollich für das Interview!

23.03.2021 (Das Interview führte Xenia Steinbach.)

Ihr Pressekontakt:
Xenia Steinbach
Tel.: 089 - 92 62 41, E-Mail: info(at)wipig.de

Marion Resch
Tel.: 089 - 92 62 87, E-Mail: presse(at)wipig.de

Anmelden